Der Krimi-Autor im Gespräch
Susanne Mai: Moin Dirk, du arbeitest zurzeit an deinem vierten Jan de Fries-Band, in dem es wieder um einen, wie du ankündigst, „brutal spannenden Mord“ gehen wird. Die dunkle Seite der menschlichen Psyche scheint dich zu reizen und deine Leser*innen honorieren das, indem sie den ehemaligen Strafverteidiger und seine Freunde immer wieder auf die Amazon-Bestsellerliste katapultieren.
Gibt es einen Grund, warum du deine Mordopfer in solch bizarren Situationen auf meist unmenschlich grausame Weise ums Leben kommen lässt?
Dirk Trost: Moin Susanne, ja, das stimmt. Seit November arbeite ich am neuen Jan de Fries. Wobei ich Wert darauf lege, dass ich keine „spannenden Morde“ kreiere, sondern spannende Geschichten erzähle!
Die Morde in meinen Krimis sind nicht ungewöhnlich grausam – finde ich. Die Orte können allerdings schon bizarr sein. In 24/7 für Pilsum beispielsweise hing das Mordopfer zwar kopfüber von der Decke, hatte aber lediglich ein kleines dunkles Loch im Kopf. Es war nur ein dünner Blutfaden zu sehen. Abgesehen von dem Hinweis auf den Seitenschneider, mit dem der Täter dem Opfer ein paar Fingerglieder abgetrennt hatte, habe ich auf jegliches Gemetzel oder bluttriefende Szenarien verzichtet. Ich fand den Tatort sehr viel bizarrer und spannender als den Mord an sich: ein SM-Studio mitten im beschaulichen Ostfriesland mit groteskem Ambiente. Womit ich nicht den Gewölbekeller und die Ketten an den Wänden meine, sondern die Männer, bei deren Anblick einem das Blut in den Adern gefriert … Mehr möchte ich nicht verraten, nur so viel – die von mir beschriebenen Männer sind real und in Berlin auf dem Alexanderplatz am Fuße des Fernsehturms zu finden.
Und nein, es gibt keinen Grund, die Mordopfer auf besonders kreative Weise umzubringen. Ich setze mich nicht hin und überlege nächtelang, wie man auf möglichst grausame Art und Weise Leute umbringen kann. Wenn es zur Grundidee und zum Verlauf der Geschichte passt, geschehen Dinge einfach so: spontan und unvorhergesehen. Als ich an Granat für Greetsiel arbeitete, war Sommer. August. Wespenzeit. Als Asthmatiker habe ich mein Notfallspray immer dabei, auch im Garten. Als eine Wespe den Inhalator umkreiste, erschrak ich: Was wäre, wenn ich keine Schutzkappe auf dem Inhalator gehabt und das Medikament samt Wespe inhaliert hätte? Wie dieser Schreck zu einem Mordszenario führte, das ist in Granat für Greetsiel nachzulesen.
Mir fallen ständig Bilder und komplette Szenarien zu bestimmten Begriffen ein. Das war schon immer so. Sehe ich ein solches Bild, steige ich in das jeweilige Szenario hinein, schaue mich um und beschreibe, was ich dort sehe. Meist öffne ich verschlossene Türen oder ziehe Schubladen auf und schaue besonders gern in die dunklen Ecken. Solche Bilder vermische ich dann mit realen Orten und Dingen, die ich mit eigenen Augen gesehen oder erlebt habe. Den Hintergrund für den Tod der Primaballerina, die in 24/7 für Pilsum ein bedauernswertes Schicksal erleidet, habe ich mir nicht komplett ausgedacht. In diesem Fall hatte ich vor Jahren aus beruflichen Gründen tatsächlich ein Röntgenbild in der Hand, auf dem die Rasierklingen zu sehen waren, die eine Patientin geschluckt hatte. Da braucht’s nicht mehr viel Fantasie …
Allerdings gebe ich auch zu, dass mich die dunkle Seite der menschlichen Psyche tatsächlich immer etwas mehr gereizt hat als grüne Wiesen und Sommerblumen auf der Sonnenseite. Ist es nicht so, dass wir im Grunde die Bösewichte, die zwielichtigen Gestalten und den geheimnisvollen Unbekannten faszinierender finden als die strahlenden Helden? Ich fand den Joker immer spannender als Batman. Und ja, ich gebe zu, dass ich insgeheim gehofft habe, dass Hannibal Lecter die Flucht gelingt, und Pennywise mich mehr fasziniert als geängstigt hat.
Das ist allerdings wahr, vor Blut trieft es in deinen Beschreibungen nicht. Und wie ich mir den jeweiligen Mordhergang ausmale, hat natürlich in erster Linie mit mir als Leserin und mit meiner eigenen Phantasie zu tun.
Dieses dreidimensionale Eintauchen in das jeweilige Szenario, das du beschreibst, hört sich nach einer beinahe filmischen Herangehensweise an. Beeinflussen Filme deine Art des Schreibens oder ist es doch eher die Realität, die dich zu deinen Geschichten inspiriert?
Dirk Trost: (lacht) Es freut mich ungemein, wenn im Kopf der Leser*innen das sprichwörtliche Kopfkino anspringt und sie oder er Bilder und Szenen sieht, die wiederum meinem Kopf entsprungen sind.
Ich mag Filme sehr gern, aber ich habe über sechs Jahr lang keinen Fernseher besessen. Erst zur letzten WM habe ich mir einen Flachbildschirm zugelegt. Nun ist Deutschland Weltmeister geworden und der Fernseher ist wieder in seinen Ruheschlaf gefallen. Zu Weihnachten habe ich ihn wieder zum Leben erweckt, denn da gab’s die alten russischen Märchenfilme, die ich sehr liebe. Ansonsten habe ich auch gar keine Zeit, vor der Glotze zu hängen; ist mir zudem viel zu langweilig.
Wenn ich nicht schreibe, bin ich im Berliner Nachtleben unterwegs: Meine große Leidenschaft ist der Tango Argentino. Und da Berlin direkt nach Buenos Aires die größte Tango-Metropole der Welt ist, gibt es hier ein sehr großes und attraktives Angebot an Milongas und anderen Tanzveranstaltungen. Da verbringt man seine knappe Freizeit nicht vor dem Fernseher!
Wenn Filme mich beeinflusst haben, dann höchstens unbewusst. Ich habe zum Beispiel seit Jahren keinen Krimi oder Tatort mehr gesehen. Seit ich schreibe, habe ich die Lust am Fernsehen verloren. Wenn ich mir doch einmal Filme anschaue, dann über Amazon Prime und etwas Besonderes. Bevor Du fragst: Der letzte Film, den ich gesehen habe, war The Hateful Eight von Quentin Tarantino und an Serien habe ich mir Sherlock und Vikings angeschaut; meist auf meinem Kindle im Flugzeug oder im Hotelzimmer, wenn ich beruflich unterwegs war.
Ich denke aber, dass ich meine Inspirationen eher durch die Realität bekomme. Ich habe jeden Tag mit vielen Menschen zu tun und begegne den unterschiedlichsten Charakteren. Zudem habe ich sieben Jahre lang in Berlin in den Wintermonaten ehrenamtlich den Berliner Kältebus gefahren, nachts und am Wochenende. Glaub mir, da triffst du so viele Menschen, hörst so viele Geschichten und erlebst so viele Dinge, dass eine Menge davon in meinem Gedankenarchiv als Bilder hängenbleibt.
Meist ist es ohnehin so, dass die Charaktere in meinen Büchern machen, was sie wollen; ich schreib’s nur auf.
Sehr schön, bei so vielen inspirierenden Begegnungen können wir uns also auf weitere spannende Geschichten aus deiner Feder freuen!
Was ist denn ein Kältebus?
Dirk Trost: Der Kältebus ist ein Hilfsangebot im Rahmen der Kältehilfe der Berliner Stadtmission, der in der vergangen Saison 20-jähriges Jubiläum feierte. Während der Kältesaison, die jedes Jahr vom 01. November bis 31. März dauert, ist dieser Kältebus nachts unterwegs und rettet obdachlose Menschen vor dem Erfrieren, indem er sie in Notunterkünfte fährt oder sie mit Schlafsäcken, warmer Kleidung oder heißem Tee versorgt. Ich selbst bin den Kältebus wie gesagt sieben Jahre lang gefahren: alle vierzehn Tage oder, wenn ich Resturlaub aufgebraucht habe, und jedes Jahr an Heiligabend.
Viele Menschen, die auf der Straße leben, ziehen sich zurück, verkriechen sich irgendwo im Dunkel der Stadt: in Hinterhöfen, unter Brücken, in U-Bahn-Schächten oder abgewrackten Schiffen und werden quasi unsichtbar. Die Mitarbeiter vom Kältebus suchen nachts diese Menschen auf, um ihnen zu helfen. Manchmal kann schon ein einfaches Gespräch Leben retten oder zumindest ein Herz wärmen.
Das ist eine gute Sache. Respekt vor deinem Engagement.
Vom Kältebus noch einmal zurück in wärmere Gefilde: Tango in Berlin. Ein spannendes Hobby. Damit kann das deutsche Fernsehprogramm in der Tat nicht konkurrieren!
Dirk Trost: Tango ist KEIN Hobby!
Tango Argentino ist … eine Art, das Leben zu spüren, eine Passion, eine Lebenseinstellung: Sinnlichkeit, Erotik, die intimste Form des Tanzens, in der sich zwei völlig fremde Menschen begegnen können, Musikalität, eine Umarmung zweier Körper, die miteinander kommunizieren, oder „ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann“.
All das kann Tango sein – nur KEIN Hobby!
Alles klar, so habe ich das noch nicht gesehen. Danke für diese kleine Einführung in eine mir unbekannte Welt.
Wie sieht es mit Büchern aus? Gibt es Autoren, die du bewunderst oder denen du gar nacheiferst?
Dirk Trost: Uff! Ich habe so viele Bücher gelesen, dass ich die im Regal gar nicht mehr zähle, sondern nach Metern abmesse. Allerdings lese ich nur noch sehr selten, seitdem ich selbst schreibe, weil ich mich während des Schreibens gerade nicht beeinflussen lassen möchte – und sei es nur unbewusst.
Nacheifern? Nein. Wieso? Ich schreibe, weil ich Geschichten zu erzählen habe und nicht, weil ich jemandem nacheifere. Bewundern dann schon eher. Und weil es so viele gute Autoren gibt, beschränke ich mich auf die ersten drei, die mir einfallen: Stephen King, weil mich seine atmosphärisch dichten Bücher immer in den Bann gezogen haben. Umberto Eco, weil er faszinierend intelligent und atmosphärisch schreibt. Und Sergio Bambaren. Das erste Buch, welches ich von ihm gelesen habe, war sein Debütroman „Der träumende Delphin“. Aus „Der Traum des Leuchtturmwärters“ ist mir vor allem folgende Zeile in Erinnerung geblieben: „Nur wer seine Träume lebt, kann seine Sehnsucht stillen.“
Na, dann erst einmal weiterhin gutes Gelingen beim Stillen deiner Sehnsucht nach dem Schreiben, Dirk! Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Gespräch. Ich bleibe gespannt auf deine nächsten Veröffentlichungen.
Dirk Trost: Ich habe zu danken, Susanne! Es ist mir Freude und Ehre zugleich, in diesem Interview ein bisschen über meine Arbeit erzählen zu dürfen.
Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass sich Leser*innen für den Kopf hinter den Geschichten interessieren. Ich möchte deshalb an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und allen Leser*innen ganz herzlich für ihr Interesse an meinen Büchern und ihre Rezensionen, Anregungen und Meinungen danken!
Die vielen Zuschriften, die ich bekomme, und der Kontakt mit den Leser*innen über meine Facebook-Gruppe geben mir das Gefühl, dass wir die Geschichten gemeinsam erleben und dass ich mich tatsächlich in die Köpfe der Leser*innen einschleichen und ihnen beim Lesen über die Schulter schauen kann.
Ich bedanke mich bei allen Leser*innen und Freund*innen der Jan de Fries-Geschichten und hoffe, dass sie mich im Sommer 2017 auch auf einen Ausflug in eine ganz andere Geschichte begleiten. Schon heute kann ich versprechen, dass es sinnlich und – obwohl es sich diesmal nicht um einen Krimi handelt – sehr spannend wird!
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© Dirk Trost